Montag, 19. März 2012

No Pics

Ich sitze grade wieder mal im Cafe Alexander. Dem Kaffeehaus gleich ums Eck
von meinem Hotel Torino hier in La Paz. Das Café hat nicht nur ausgezeichneten Kuchen –
sondern auch WiFi, weswegen ich alter Internet-Junkie hier Stammkunde bin.
Mit etwas Glück plane ich am kommenden Freitag, dem 23. März, MrC in einem
Kontainer von Arica nach Deutschland zu schicken. Ich versuche dann
zeitgleich mit ihm dann auch wieder in Europa zu sein. Ursprünglich wollte
ich eigentlich doch noch bis in die USA hoch. Aber diverse private Sachen in
Zuhausistan sollte ich langsam mal regeln – so ein Lotterleben ist leider
doch nicht unbeschränkt möglich. Also irgendwann um den 19.April herum
versuche ich jetzt meinen letzten Flug nach Europa zu bekommen.
Aber das ist eigentlich gar nicht so das, worüber ich eigentlich schreiben
wollte.
Auch nicht, daß ich gerade begonnen habe mein Reisetagebuch zu schreiben,
wie ein Aufgebot an Polizei mit Schlagstöcken und Schutzkleidung die Straße
absperrt.
Und auch nicht, wie plötzlich eine Indio-Demonstration mit lautem Trommeln
und Megaphonen vorbeimarschiert.
...und dieser Strom an Demonstranten seit rund 30min nicht abreißt.
Eigentlich wollte ich von vorgestern erzählen.
17. März 2012.
St. Patrick´s Day.
Der große Feiertag der Iren. Dessen Abend ich in einem irischen Pub
verbracht habe. Mit einem riesigen grünen St.Patricks/Karneval Hut am Kopf.
Ein Bier nach dem anderen in mich hineinschüttend.
...aber warum ich keine Photos von diesem scheinbar so illustren Abend
gemacht habe?
Der Abend hat mich sehr bewegt. Und er verlief vollkommen anders als
ursprünglich geplant.
Ich kam in das Pub. Und sah mich nach anderen Couchsurfern um. Das Lokal war
um kurz nach 20:00 noch recht leer. Der einzige offensichtliche Ausländer –
mit rotem Haar und blauen Augen – war Sean, ein Australier. Und wir kamen so
ins Gespräch. Und erzählte mir, daß er 29 Jahre alt ist. In einer
australischen Mine arbeitet. Und man dort als nicht-Ingenieur rund 11.000
australische Dollar verdient - welchr gerade rund 1:1 zum amerikanischen
Dollar steht. Pro Monat.
Als Ingenieur verdient mant dort rund 16.000 AUS.

Sean, war vor ein paar Jahren in Südamerika. 8 Monate mit Rucksack
unterwegs.
Er ist ein Abenteurer.
Vor ein paar Wochen hat er geade die Mongol 2012 gebucht – eine Ralley mit
einem dafür extra zu kaufenden Gebrauchtwagen, welcher nicht mehr als
1000ccm haben darf (Für Details siehe hier:
http://www.theadventurists.com/the-adventures/mongol-rally ) Ziel ist es
„irgendwie" mit dem Fahrzeug von den UK nach Ulaanbaatar in die Mongolei zu
kommen. Zig tausend Kilometer. Unorganisierte Fahrt.
Klingt spannend. Hmmm... Sollte ich mir wohl auch mal genauer anschauen.
Start: 13. July. Ende: Irgendwann zwischen dem 10. Und 24. August. Naja.
Würde sich bei mir ja noch irgendwie ausgehen...

Aber auch das ist nicht so ganz das Thema was mich so bewegt hat.
Ich habe höchsten Respekt vor Sean.
Innerhalb von ein paar Tagen hatte er sich gewandelt. Ehemalig ein
Abenteurer.
Über Facebook hat er erfahren, daß er durch eine betrunkene One-Night
Geschichte bei einem Zwischenstop in Santa Cruz vor rund 3 Jahren plötzlich
Vater ist.
Es tauchten Photos von dem Sohn von dieser Bekanntschaft auf Facebook auf.
Rote Haare. Blaue Augen. Eine Kombination, die es in Bolivien nicht so
häufig gibt.
Und somit hat er seine Sachen gepackt. Und will sich seiner Verantwortung
stellen. Ist gerade vor ein paar Tagen in Bolivien angekommen. Spielt mit
den Gedanken einer Hochzeit. Mit einer Frau, die er gerade einmal in seinem
Leben gesehen hat. Und nicht einmal sonderlich mag. Plant, dieser seiner
Familie in Australien ein Heim zu bieten. Ohne zu wissen,was ihn eigentlich
hier in Bolivien wirklich erwartet.
Wir reden. Lange. Sehr lange. 5 Stunden. Ein Bierchen nach dem anderem
trinkend. Mit lächerlichen Hüten auf dem Kopf. Um uns herum ausgelassene
Stimmung.
Ich habe diesen Abend keine Photos geschossen.

Wir trennen uns am Plaza de San Francisco. Beim Abschied hat er Tränen in
den Augen und bedankt sich tausend mal, daß er mit mir reden konnte. Für meine Gedanken zu dem Thema.
Ich bin noch immer berührt, von seiner Geschichte. Und von dieser Größe sich von einem Tag auf den anderen sich so seiner Verantwortung zu stellen.

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