Rund eine halbe Million Sekunden Meditation später. Wie ich diesen Blogeintrag beginne, sitze ich gerade in unserem Motel Zimmer in Nacogdoches – noch immer in Texas. Nach dem Ende des Vipassana Schweige/Meditations-Kurses sind Susan und ich dann noch rund 2 ½ Stunden Süd-östlich gefahren um ein gemütliches Motel zu finden und uns am Komfort des „normalen" Lebens zu erfreuen. Und somit sitz ich hier und will wieder ein literarisches Lebenszeichen von mir geben.
Am Ende des Seminars wurde man gebeten nicht sofort alle Erlebnisse im Detail auf Facebook zu posten. Und dieser Bitte möchte ich auch nachkommen.
Aber anbei zumindest ein Video mit generellen Informationen über das Seminar lege ich bei: http://video.server.dhamma.org/video/PracVip/PracVip-it.mp4
Und bezüglich meiner persönlichen Erfahrungen: Jeder, der mich kennt, weiß, wie kritisch ich diesen esoterischen Sachen gegenüber stehe. Wenn es nicht in mein wissenschaftliches Weltbild paßt, ist es für mich eine nette Spielerei – aber nicht anwendbar für mich in meinem täglichen Leben.
Aber wie soll ich eigentlich die letzten Tage überhaupt zusammenfassen? Wie kann man das auch?
Es gibt keine Management Summary in einem Absatz. Die sofort alle Erkenntnisse akkurat und treffend beschreibt. Die einem die Weitergabe über das erworbene Wissen an andere neugierige Freunde ermöglicht.
Das Wort, welches die letzten Tage am ehesten beschreibt ist „inspirierend". Man hinterfragt sehr viel. Betrachtet dabei alles unter einem anderen Licht. Denkt ausserhalb der ausgetretenen, bekannten und gelebten Pfade. Findet Zugang zu ungewöhnlichen Ansätzen.
Und dieses Seminar war eines der härtesten, die ich je in meinem Leben gemacht habe. Aber alle Seminare und Kurse, die wirklich an die Substanz der eigenen Persönlichkeit und des eigenen Verhaltens gehen, sind anstrengend. Und auch auf eine bestimmte Art schmerzhaft. Müssen sie auch sein, damit sich etwas in einem selbst nachhaltig verändern kann.
Das Besondere an diesem Seminar ist, daß es einem immer weiter an die eigenen Grenzen treibt.
...und das verrückte daran – je härter man zu einem selbst ist, desto schwieriger fällt einem das Seminar. Es gibt niemanden anderen, der einem das Leben schwer macht. Außer einem selbst.
Eine universelle Erkenntnis.
Die Übungen werden Schritt um Schritt schwieriger. Man beginnt klein: rückwirkend betrachtet ganz klein – weil damals war jede einzelne Übung eine soooo große Herausforderung. Die einem dann über die Zeit aber immer leichter fiel. Und noch leichter. Und noch leichter...
Und dann kommt der Hammerschlag – die nächste Übung wo man glaubt, man kann das nicht schaffen. Und verzweifelt. Und denkt „Oh Gott. Ich halt das nicht aus. Ich muß hier abhauen. Was für eine Zeitverschwendung meines Verstandes." Und wieder dieser Kreislauf der Verzweiflung. Der Meisterung. Der Überheblichkeit. Der nächsten Übung. Der Verzweiflung. Der Meisterung...
Und das gemeine an dem Kurs – es wird sehr wenig erklärt und wenn dann im Nachhinein. Der Geist wird ausgehungert – um ihn aber überhaupt für bestimmte Fragen vorzubereiten. Ihn zu schärfen. Ihn dann selber die Lösung finden zu lassen – durch einfaches Erfahren und Ausprobieren.
Anfangs verbringt man noch jede freie Pause auf der Toilette – was soll man denn auch sonst tun? Reden und kommunizieren sollte man nicht. Schreiben auch nicht. Lesen auch nicht. Man darf auch das Kursareal nicht verlassen – und für die ganz schlauen unter meinen werten Lesern: selbst nicht mal in den Frauenbereich darf man hinüber.
Also bleibt nur der Toilettenbesuch als Abwechslung - falls sich der werte Leser weiters fragen sollte: aber Zeitung gibt´s keine. Aber man findet heraus, daß der Kurszeitplan auch noch einen Leseteil beinhaltet. Immerhin 4 Seiten an Informationen: Was man darf. Was man nicht darf. Eine kurze Zusammenfassung, was Vipassana ist. Was es nicht ist.
Und das war´s. Sonst keinerlei Abwechslung. Keine Ablenkung, die einem diese ewige Monotonie meistern hilft. Irgendwann entdeckt man dann noch den Zettel mit den Instruktionen, wie man die Endreinigung des Zimmers am Ende des Seminars durchzuführen hat und freut sich endlich wieder über etwas geistige Nahrung. Aber auch das verliert dann den Neuigkeitsgehalt und die (Nicht-)Routine des Tages kommt zurück.
Anfangs glaubt man, daß man durchdreht. Daß man hier flüchten muß. Und jeden einzelnen Tag kommt irgendwann im Laufe diese Verzweiflung auf...
...welche dann aber auch immer irgendwann wieder verschwindet. Man versteht plötzlich etwas, was man sich die ganze Zeit schon immer gefragt hat. Ein neues Verständnis für etwas in seinem Leben reift in einem.
Durch diese Abstinenz von Ablenkung wird man gezwungen, sich mit sich selbst auseinander zu setzen – und dabei ist das sogar eigentlich ein explizit-unerwünschtes Nebenprodukt der Meditation. Eigentlich sollte man sich nur auf die Übung konzentrieren. Aber der Geist wandert ab. Man findet sich irgendwo ganz wo anders wieder. Man nimmt sich vor wieder der Übung zu folgen. Kehrt zurück zu der Übung.
...nur um irgendwann später wieder den Faden zu verlieren und bei irgendwelcher seiner offenen Fragen zu landen.
Es klingt wahrscheinlich etwas obskur für jemanden der solch ein Seminar nicht gemacht hat. Aber wie bereits erwähnt - diese Beschreibung hier soll auch kein Versuch einer Zusammenfassung sein.
Aber ich kann wirklich jedem den Besuch dieses Seminars empfehlen. Vipassana ist keine Sekte. Es ist bestenfalls eine konfessionsübergreifende Denkrichtung. Und es ist für jede Religion und Glaubensrichtung offen. Man verpflichtet sich zu nichts und muß sich auch nicht den Kopf kahl scheren, nackt oder in irgendwelchen orangenen Roben herumlaufen oder irgendwelche Magazine in Bahnhöfen verteilen. Die Denkimpulse, die gegeben werden, werden explizit als Vorschlag gebracht. Wenn etwas nicht in die eigene Welt paßt, dann klammert man halt einfach diesen Punkt aus und versucht zumindest den Punkten zu folgen, die einem verständlich sind und zusagen. Und die gesamte Teilnahme kostet nichts. Gar nichts. Die Unterkunft und die Verpflegung sind vollkommen gratis. Falls einem am Ende das Seminar etwas gebracht hat, kann man etwas spenden um anderen Schülern die Möglichkeit zu dem Besuch so eines Seminars zu ermöglichen. Falls nicht, spendet man einfach nichts und hat halt einfach nur 10 Tage seines Lebens investiert.
Mittlerweile bin ich in einen Stadtpark gewandert. Denke weiter an den Kurs.
War es mir das wert, extra aus Europa in die USA zu fliegen? Diesen riesen Umweg auf dem Weg zurück nach Südamerika. Diese 1500€ eines nach 14 Monaten Reise bereits sehr knappen Reisebudgets zu plündern um dorthin überhaupt anreisen zu können. Diese im Endeffekt rund 1 monatige Verzögerung um meine Reise durch Südamerika wieder aufnehmen zu können?
Ich grüble kurz.
Meine Antwort ist eindeutig: Ja - sehr sogar. Mir hat es sehr geholfen bestimmte Werte in meinem Leben zu schärfen bzw. herauszufinden, was mir wichtig ist. Aber auch typische Verhaltensweisen und Reaktionen zu hinterfragen.
Für mich waren es – wenn auch einer der anstrengendsten, so aber auch die belohnendsten – 10 Tage meines Lebens.
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